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Mit inneren Werten zum Erfolg

Kennengelernt haben wir den neuen Mercedes Intouro schon vor einigen Monaten. Jetzt dürfen wir testen und erleben eine faustdicke Überraschung. Der neue Regionalbus hat seine sportliche Härte abgelegt und macht auch sonst eine gute Figur.

Zuerst natürlich der erste Eindruck, der unseren Puls nicht sonderlich beschleunigt. Bis auf die ungewöhnliche Farbe „Aquablau hell“, etwas heller und freundlicher als Taubenblau - eine freundliche Lackierung, die auch ohne Metalliceffekt gut aussieht. Es ist die Hausfarbe von Arriva Slovenija, unser Intouro wird sich wohl nach seiner Testwagen-Laufbahn auf den Weg nach Slowenien machen. Formal ist der neue Intouro nicht unbedingt ein Augenschmaus. Das meinen wir, da gibt es auch andere Meinungen. Seinen Job muss er können, wie jeder Akteur in diesem Business. Und wir haben das Glück, den sehr profilierten Produktmanager Frank Mandel befragen zu können, der uns an diesem Test begleitet. Wie geht es mit den mittelkräftigen Motoren weiter? Denn der Daimler-Truck-Konzern wird laut Unternehmensaussage die Baureihe OM 934/936 und auch den kleinen Erdgasmotor nicht weiterentwickeln. Der kleine Dieselsechszylinder steckt im Heck des Intouro – wie lange wird es den noch geben? Oder bekommt er künftig einen Cummins-Diesel verpasst, der amerikanische Motorenlieferant soll nämlich die Mannheimer Fertigung der mittelschweren Motoren übernehmen.“ Stand heute gibt es noch kein Szenario“, erklärt Frank Mandel, „das ein Auslaufen dieser Motoren beschreibt.“ Mit dieser Aussage, die ja keine schlechte Nachricht ist, machen wir uns an Werk. Noch bevor es richtig losgeht, ist zu klären, ob wir es hier mit einem Regionalbus oder einem Intercity-Kilometerfresser zu tun haben. Wir sind auf alles vorbereitet, der Intouro kann nämlich beides. Die begleitende Mercedes-Crew entscheidet: Ein Regionalbus, wir fahren über Land. 

Kleine Entdeckungsreise 

Einiges ist anders als erwartet, schon bei der Heckklappe, die jetzt kein Kühlgitter mehr besitzt. Dafür wurde rechts hinten der Belüftungsausschnitt um ein paar Zentimeter vergrößert. Der Vorteil? Eine durchgehende Werbefläche im Heck, vielleicht auch eine Produktionserleichterung. Die größte Veränderung kündigt der Busexperte Mandel auch gleich an. Der blaue Intouro fährt jetzt mit einer neuen Vorderachse vor, die auch der Tourismo und die Setra-Reisebusse bekommen. Sie heißt RL 82 EC und wird vom ZF-Werk bei Passau gefertigt. Die neue Achse, sie versieht schon längerem in den Citaro-Modellen ihren Dienst, verschlankt als Omnibus-Einheitsvorderachse den Komponentenbaukasten. Wie sie sich schlägt? Nachteile muss der Kunde jedenfalls nicht befürchten, nur so viel an dieser Stelle.

Über das neue Intouro-Portfolio, das alle Mercedes- und Setra-Hochbodenbusse ersetzt, haben wir bereits berichtet. Vier Längen, zwei Ausstattungsvarianten und für den Zweiachser nur zwei Motorleistungen, die langen Dreiachser werden mit dem stärkeren OM 470 bestückt. Bestellbar und in diesem Testfahrzeug nicht verbaut ist eine Mildhybrid-Variante a la Citaro hybrid, die allerdings weiterhin ohne Start-Stopp-Automatik auskommen muss. Dafür brilliert der neue Intouro mit den modernsten Sicherheitssystemen, die es beim Wettbewerb noch nicht gibt. Der neue ABA5-Notbremsassistent, der Radarsensorik plus Kamerabilder auswertet - oder der Side Guard Assist, der auf der rechten Seite Fussgänger, Radfahrer und stationäre Objekte erkennt und warnt. Leider haben die Controller dem Intouro keinen Front Collision Guard (wie in den Reisebussen des Konzerns) zugestanden, die Gefahr eines Frontalaufpralls ist auf engen Landstraßen wesentlich höher als auf Autobahnen. Immerhin: Der neue Mercedes-Regionalbus wurde nach ECE R 29 getestet und soll den Pendelschlagtest souverän bestanden haben. 

Nicht schön, aber solide

Jetzt steigen wir ein und registrieren praxisgerecht breite hohe Einstiege, nur Niederflureinstiege sind besser. Nichts zu meckern gibt es an den dachhohen Außenschwingtüren, die zügig öffnen und satt schließen. Dass die Vordertür fast komplett verglast ist, verbessert die Übersicht ganz entscheidend, wie die erste Sitzprobe bestätigt. Der Intouro mit rund 860 mm Bodenhöhen ist gut begehbar, der Fahrgast kann sich mit den hochfesten „Inter Star Eco“-Sitzen mit schlankem Zuschnitt rasch anfreunden. Große gelochte Gepäckablagen darüber, damit man seine abgelegten Sachen wiederfindet, sie klappern auch nicht, wenn es über ondulierte Fahrbahnen geht. Nicht gerade attraktiv sind die Innenlichter, die wie einzelne Neonröhren über dem Mittelgang hängen. Auch die Klimaanlage ist uns eine Erwähnung wert. Die Basisausstattung mit einer Evo-Cool-Dachanlage reicht mit 32 kW Kälteleistung für hiesige Hochsommer-Temperaturen. Schnell und nicht ganz leise kühlt sie nach Haltestellen oder Pausen auf erträgliche 24 Grad, bei der Wahl des Kühlmittels haben sich die Techniker für das konventionelle R1234yf entschieden.

Im geräumigen  Intouro-Cockpit fällt die Orientierung leicht, auch wenn nicht jeder benötigte Schalter sofort ins Auge sticht. Aber eine digitalen Arbeitsplatz wie im Actros (Lkw) haben wir nicht vermisst. Genug Platz bleibt hinter dem vielfach verstellbaren Volant, kleinere und größere Fahrer:innen kommen hier gut zurecht. Ein ZF-Automatik-Getriebe, dazu die elektronische Parkbremse, es ist wirklich einfach, einen Intouro zu fahren. Zuerst rollen wir noch auf die Waage: 17.400 Kilo inklusive Kraftstoff, Ballast und Besatzung – so schwer haben es Intouro-Busse im Alltag nur selten. Wie die kleine Rechnung zeigt: Unser 51-Sitzer wäre bei rund 5.500 kg Nutzlast mit 78 Fahrgästen unterwegs

Anfahrstark mit Powerboost

Trotz der ungewöhnlich hohen Auslastung kommt der Mercedes flott voran. Er beschleunigt bis 80 km/h zügig, bis Tempo 100 wird es zäh, da mag das hohe Gewicht eine Rolle gespielt haben. Die Motorleistung ist artgerecht, der 7,7 Liter kleine Sechszylinder (OM 936) entwickelt beim Ausdrehen 354 PS und 1.400 Newtonmeter (Nm) Drehmoment bei 1.200 Umdrehungen. Die Wettbewerber Iveco, MAN und VDL bieten auf Wunsch bis zu 1.600 Nm, bei Mercedes bekommt man maximal 1.400 Nm. Wobei wir hier kein Manko sehen. Das wieselflinke Aggregat kommt genauso schnell aus den Startblöcken, was die Motorentechniker mit einem technischen Kniff erreichen. Beim Anfahren wird Druckluft aus den Kesseln in die Ansaugkanäle geblasen, mit diesem Luftüberschuss kann der Motor mehr Kraftstoff verarbeiten. Und gleichzeitig wird mit dem Powerboost-System (von Knorr-Bremse) der Turbolader auf Touren gebracht, sodass sich der OM 936 wie ein größerer Motor aus dem Drehzahlkeller stemmt. Der kleine Reihensechser reagiert ohne Verzögerung auf die Gasbefehle und dreht freudig bis an die Nenndrehzahl. Und die Ecolife-Sechsgangautomatik sorgt beinahe unmerklich für die passenden Übersetzungen. Gleich nach dem Start geht es nach wenigen Metern im zweiten Gang weiter, bei Tempo 65 legt das rechnergesteuerte Getriebe den sechsten Gang ein. Bei Tempo 100 sind dann 1.500 Touren gefordert, die dem Sechszylinder nicht schwerfallen, wenn er freie Fahrt hat. Und für eilige Fahrer: Wenn mal in Steigungen das gebotene Drehmoment nicht reicht, hilft ein nachdrücklicher Tritt aufs Gaspedal, dann geht es im nächstniedrigeren Gang weiter. Wer oft schnelle Autobahnpassagen fährt, dürfte mit dem automatisierten Powershift-Achtganggetriebe besser bedient sein. Denn mit der längeren Gesamtübersetzung wird die Dauerdrehzahl gesenkt, die das Geräuschniveau und den Kraftstoffverbrauch reduziert. Genau den haben wir uns näher angesehen. Dass der Intouro mit dem teuren Diesel sparsam umgeht, zeigt er bei konstant 50 und 60 km/h. Mehr als durchschnittlich 18 Liter verbraucht er nicht, er muss sich auch auf einem kurzen Sort2-Kurs beweisen. Und natürlich auf einer Überlandlinie von Dorf zu Dorf, wo er nicht ganz an die Tabellenspitze fährt. Aber da müssen wir Fairness walten lassen, schließlich fahren wir an einem sehr hochsommerlichen Tag, wo die große32-kW- Klimaanlage kräftig Antriebsleistung abgreift. Und bitte nicht vergessen: Wir sind mit beinahe 18 Tonnen Gesamtgewicht unterwegs – so viel hatte bisher kaum ein Zweiachs-Testbus gewogen.

So flink wie der Antrieb ist auch das Fahrwerk unterwegs. Der Intouro spurt sehr sauber geradeaus und geht auf den Nebenstrecken über die Dörfer gut zur Hand. Auch die Kurbelei in engen Radien hält sich in Grenzen, die Rückstellkräfte der Hema-Lenkung bringen den Zweiachser gleich wieder auf Kurs. Allerdings muss der Fahrer schon kräftig ins Lenkrad greifen, etwas mehr Servounterstützung würde dem Intouro gut zu Gesicht stehen. Ein rundum erfreuliches Fahrverhalten, wir wollen es jetzt wissen und geben dem Intouro die Sporen. Was er klaglos hinnimmt und ohne Tücken über die Landstraße eilt. Er ist absolut berechenbar, in sehr schnellen Kurven schiebt er dann gut beherrschbar über die Vorderräder, während das ESP-System uns immer mehr die Antriebsleistung zügelt. 

Wer aber meint, ein solches Fahrwerk muss sportlich straff gedämpft sein, wird hier eines Besseren gelehrt. Der neue Intouro rollt mit der neuen Vorderachse weit feinfühliger ab als früher. Möglich machen es die breitere Federspur und jetzt senkrecht geführte Federbälge und Stoßdämpfer. Lange tiefe Bodenwellen oder kurze harte Kanten werden in bester Reisebus-Manier genommen, die Seitenneigung in schnellen Kurven hält sich dank der beiden Stabilisatoren in engen Grenzen. Wir sind jedenfalls positiv überrascht, das neue Setup des Fahrwerks ist Spitzenklasse.

Es kommt auch bei den Fahrgästen an, die an Bord angenehm umhegt werden. Gut temperiert, man sitzt auch gut, vom Motor und der Straße dringen nur dezenten Geräusche nach innen. Mit Doppelverglasung und exakt schließenden Türen bleibt es auch bei höheren Geschwindigkeiten ruhig. 66 Dezibel im Heck bei Tempo 80, der kleine Sechszylinder zeigt auch hier beste Manieren.

Also alles prima? 

Bei den Fahreigenschaften und beim Fahrkomfort ist der Mercedes nur schwer zu schlagen. Der Intouro punktet auch mit seinen modernen Sicherheitssystemen, die sich über die gesamte Testdistanz keine Fehler erlauben. Und dennoch lässt der Hersteller Konsequenz vermissen. Der Frontaufprallschutz fehlt in der Intouro-Struktur, obwohl das System verfügbar wäre. Wie in früheren Jahren das ESP-System, um günstigere Preise zu generieren. Genug der Kritik: Der neue Intouro ist ein solider und moderner Regionalbus, der auch das Talent für lange Strecken hat. Er ist nutzlaststark, fährt schnell, sparsam und komfortabel – und sogar besser, als er aussieht.