Neu ist er nicht, aber er zieht die Aufmerksamkeit der Tester auf sich. Sage und schreibe 800 Kilowattstunden Batteriekapazität hat er an Bord, das erklärt auch das hohe Gewicht des polnischen Gelenkzugs. Als Omnibus überzeugt er mit Reife, und das ist längst nicht alles.
Eigentlich zählt ein Solaris-Stadtbus ja zu den Normalos. Aber dieses Exemplar ist anders, davon zeugt schon sein extravaganter Auftritt. Eine dunkle Metalliclackierung in hellem Anthrazit, gerahmt mit hellgelben Dachkanten und Radläufen, daraus blitzen lankpolierte Aluräder. Dieser Solaris hebt sich optisch ein wenig ab von der profanen Konkurrenz. So ein Vorführfahrzeug ist eben ein rollendes Schaufenster, in das man alle Goodies packt, die der Produktbaukasten hergibt. Ja, der polnische Hersteller hat auch gute Gründe, auf seine besondere Rolle im Stadtbusgeschäft hinzuweisen. Unbestreitbar ist die Pionierrolle von Solaris, wenn über die Elektrifizierung der Omnibusse diskutiert wird. Der Anbieter aus Bolechowo, der mittlerweile zur spanischen CAS-Gruppe gehört, hat den Elektrobus-Markt wie kein anderer geprägt. Und weil die findigen Techniker ihre Produkte stets weiter entwickeln, hat sich der kantige Urbino zu einer allseits anerkannten Elektrobus-Produktfamilie gemausert. Der Kunde hat die Wahl zwischen verschiedenen Batteriepaketen, ja sogar Zelltechnologien. LTO oder NMC, die High-Energy-Batterien (NMC) mit großen Kapazitätsreserven stammen vom Akkuhersteller Impact.
Mit einem solchen Batteriepaket hat sich der Gelenkzug aus Bolechowo auf den Weg gemacht. Mit 800 kWh Kapazität und nur 250 kg schwerer als der MAN, was für die gekonnte Konstruktion des Urbino 18 Electric spricht. Nach Herstellerauskunft kommt der Gelenktzug bis zu 600 Kilometer weit. Natürlich unter günstigen Umständen, doch für einen Dreischicht-Betrieb im Stadtverkehr reicht es wohl allemal. Der Urbino 18 Electric trägt seine Akkupacks jetzt vollständig auf dem Dach, durch den Wegfall des Motorturms und des Batteriereservats wird im Heck zusätzlicher Platz für sechs Sitzplätze frei. Auch in Sachen Antrieb geht Solaris beim Gelenkzug jetzt eigene Wege. Die dritte Achse wird von einem robusten Zentralmotor des österreichischen Hersteller TSA direkt angetrieben. Der Asynchronmotor TMF 35-44 liefert 240 kW im Dauerbetrieb, er soll über hohe Reserven verfügen. Der Zentralmotor hinter der dritten Achse wird jetzt der Serienantrieb im Gelenkzug, die ZF-Elektroachse wird im Großraumbus nicht mehr angeboten.
Premium-Komfort für die Fahrgäste
Bitte einsteigen, der Solaris beeindruckt auch mit seinem eleganten und kompetenten Fahrgastraum. LED-Lichtbänder weisen den Weg zu den Türen, Kinderwagen- und Rollstühlplätze sind farblich markiert. Das Haltestangenkonzept ist schlüssig, die polnischen Ster-Sitze bieten bequem Platz. Auch bei der Klimatisierung wird nicht gespart, im Urbino 18 Electric arbeitet eine moderne Konvekta-Wärmepumpe. Ganz auf Komfort getrimmt ist auch das Fahrwerk, das auf den Bonner Schlechtwegstrecken ziemlich alles wegsteckt, ohne die Fahrgäste zu belästigen. „Auf Augenhöhe mit dem eCitaro“, bestätigt ein Testerkollege die eigene Meinung, besser geht es wohl kaum. Denn der Solaris liegt satt auf der Straße, spurt ruhig geradeaus und lenkt willig ein – fast wie ein Solobus. Reichen maximal 2.222 Nm Drehmoment, wie sie in den technischen Daten stehen? Auf ebener Topografie beschleunigt der Solaris souverän, beim Anfahren am berüchtigten Testberg schlägt er sich immerhin wacker. Die polnischen Testbegleiter bestätigen unsere Frage, dass man auf Wunsch auch mehr Leistung haben könne – wir meinen, in diesem Fall ist es genug. Auch die elektrische Verzögerung möchten wir nicht anders, der Solaris kann rollen, fein rekuperieren und der Übergang zur mechanischen Bremsung ist omnibusfein abgestimmt.
Und wie geht es dem Fahrer? Der Platz für Langbeiner ist nicht üppig, an den Verstellmöglichkeiten von Lenkrad und Instrumententräger muss man nicht meckern. Typisch Solaris ist die perfekte Übersicht, die asymmetrisch nach rechts geneigte Frontscheibe vermittelt den Eindruck, dass man wirklich nichts übersehen kann. Statt konventioneller Außenspiegel kommen hier Mirror Cams zum Einsatz, die etwas zu hellen Displays machen mit durchdachter Platzierung und brauchbarer Auflösung keinen schlechten Eindruck. Weil uns auch die Lenkung überzeugt, wären wir geneigt zu sagen: Der Solaris ist prima zu bedienen - wären nicht da die stehenden Pedale, die im Vergleich zum Mercedes plötzlich uralt wirken.
Unser Fazit
Um es auf den Punkt zu bringen: Dieser Urbino 18 Electric ist der beste Solaris, den wir bisher gefahren und erlebt haben. Ohne Zweifel ein Premium-Produkt, das mit seinem Fahrwerk zum Mercedes aufschließt und auch sonst kaum Schwächen zeigt. Zwar brummt der Zentralmotor, ein ausreichend kräftiges Aggregat, lautstark unter Volllast im Heck, aber das ist nun mal so bei Zentralmotoren. Bei den Sicherheitssystemen hat Solaris nachgerüstet, der Urbino erfüllt bereits jetzt alle GSR-Anforderungen der EU. Und zu guter Letzt: Die SWB-Werkstatt votiert für den Solaris, er ist wohl der servicefreundlichste Elektrobus in diesem Vergleich.