Wir verwenden Cookies, um unsere Webseite zu analysieren und stetig zu verbessern. Wenn Du fortfahrst, nehmen wir an, dass Du mit der Verwendung von Cookies auf 1truck.tv einverstanden bist. Du kannst den Analysedienst jederzeit deaktivieren. Weitere Informationen findest Du in unseren Datenschutzbedingungen.
VERSTANDEN
1Truck.tv Logo
Lupen Icon

Im Gespräch mit VDA Präsidentin Hildegard Müller

Im Vorfeld der IAA Transportation erhielten Mitglieder der Jury des International Truck of the Year ein exklusives Interview mit Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Sie erklärt, dass die diesjährige Ausstellung globaler sein wird als je zuvor, und sie ist der Ansicht, dass die Transportbranche noch einige Herausforderungen auf dem Weg zur CO2-Neutralität bewältigen muss.

Unsere erste Frage betrifft die IAA Transportation. Wie würden Sie die Stimmung in der Lkw-Branche kurz vor der Messe beschreiben? Würden Sie sagen, dass die Ausstellung, wie in der Vergangenheit, als ideale Plattform für die neuesten Entwicklungen und als „Place to be“ gilt?

Hildegard Müller: Wir haben große Erwartungen in der Lkw-Branche. Die Aussteller auf der IAA Transportation 2024 bauen auf dem Erfolg der Ausgabe von 2022 auf, die wir als Maßstab sehen. Die diesjährige Messe verspricht, die Erwartungen zu übertreffen, wir haben eine zunehmend internationale Präsenz, was die globale Bedeutung der IAA unterstreicht. Lassen Sie mich einige Dinge hervorheben. Wir haben über 80 Aussteller, die am Pressetag teilnehmen und innovative Produkte und Weltpremieren vorstellen. Das zeigt die lebendige Innovationskraft und die Bereitschaft, zukünftige Herausforderungen anzugehen.

Die Besucher werden alles von neuen Elektrofahrzeugen bis hin zu Wasserstoff-Lkw sehen können. Wir haben auch einige neue Attraktionen, wie ein Familienwochenende und ein Trucker-Festival, das die Bedeutung der Fahrer und ihren Beitrag zur Branche hervorhebt. Es sind viele Events und Aktivitäten für dieses Wochenende geplant. Es gibt zum Beispiel ein Truck-Racing-Fahrerlager, eine Fahrschule und eine Outdoor-Bühne mit Konzerten. Die diesjährige IAA wird natürlich Presskonferenzen bieten, sowie den sehr wichtigen B2B-Austausch und zum Abschluss das Fahrer- und Familienwochenende.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der diesjährigen IAA Transportation und der Ausgabe 2022?

Die IAA Transportation 2022 war die erste nach der Covid-Pandemie, und deren Auswirkungen – insbesondere in Bezug auf die internationale Beteiligung – waren auf der Messe spürbar. Wir mussten die Veranstaltung 2020 aufgrund von Covid aussetzen. Im Jahr 2024 werden wir ein kontinuierliches Wachstum und eine stärkere internationale Präsenz als je zuvor haben. Über 70 % unserer Aussteller kommen aus dem Ausland. Die Hauptländer, aus denen sie kommen, sind China, die Türkei und Italien. Dies bedeutet noch mehr globale Interaktionen und wichtige Austauschmöglichkeiten für die Besucher.

Wir haben bereits jetzt  mehr Aussteller als 2022, was wirklich großartig ist. Wir streben mehr als 1.500 Aussteller an, und wir sind diesem Ziel bereits nahe. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass die Branche bereit ist, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Außerdem, wie ich bereits erwähnt habe, haben wir das Fahrer- und Familienwochenende. Für uns ist es sehr wichtig, die Rolle der Fahrer hervorzuheben.

Was sind die Hauptschwerpunkte der diesjährigen IAA? Wird die E-Mobilität wieder im Mittelpunkt stehen?

Ja, die E-Mobilität wird im Fokus stehen. Wir werden auch viele Innovationen in der Ladeinfrastruktur zeigen. Ich denke, es ist sehr wichtig, diese Ladeinfrastruktur jetzt parat zu haben. Wasserstoff wird ebenfalls ein Schwerpunkt sein, was die Frage der Infrastrukturentwicklung für Wasserstofftechnologien aufwirft. Die IAA wird ausserdem das autonome Fahren präsentieren, wo wir in Bezug auf die Fahrzeugtechnik stehen und welche Anwendungen und Pilotprojekte es im Logistiksektor gibt. Weitere Schwerpunkte werden der Transport auf der letzten Meile in großen Städten, sowie fortschrittliche Konnektivitätsdienste sein. Digitalisierung und technologische Fortschritte in der KI werden ebenfalls vorgestellt.

Angesichts der vielen technologischen Fortschritte erwarten wir, dass die angebotenen Testfahrten auf der IAA sehr beliebt sein werden. Eine Vielzahl von Fahrzeugen wird zum Testen bereitstehen – von dieselbetriebenen Fahrzeugen mit den neuesten Euro-Standards bis hin zu gasbetriebenen Fahrzeugen und Elektro-Lkw. Wir hatten 2022 etwa 7.500 Testfahrten, und die Nachfrage nach Testfahrten im Jahr 2024 ist hoch (viele sind bereits ausgebucht). Daher werden wir versuchen, zusätzliche Testfahrten anzubieten.

In nur wenigen Jahren hat die Lkw-Branche schwere batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) mit einer Reichweite von etwa 500 km entwickelt. Wie wurde dieses „Wunder“ erreicht?

Dank der Bemühungen und Investitionen aller Unternehmen in unserer Branche haben wir enorme Fortschritte gemacht. Von 2024 bis 2028 werden Hersteller und Zulieferer der deutschen Automobilindustrie weltweit rund 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt auf der Transformation, insbesondere der Elektromobilität, einschließlich Batterietechnologie, autonomem Fahren und Digitalisierung. Zusätzlich zu den F&E-Investitionen werden von 2024 bis 2028 weitere rund 130 Milliarden Euro aus der deutschen Automobilindustrie weltweit unter anderem in den Bau neuer Fabriken sowie in die Umrüstung von Anlagen und deren Ausstattung fließen. Das ist eine enorme Investition. Es ist eine Botschaft an die Kunden und den Markt und auch an die Politik, dass wir die geforderten Ziele erreichen wollen. Die Investitionen sind auch ein Ausdruck unseres Willens, international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die deutsche Automobilindustrie möchte weiterhin die klimafreundlichsten, sichersten, effizientesten und modernsten Autos der Welt bauen.

Aber wir brauchen Wettbewerb. Diese Spirale des Protektionismus ist ein großes Problem für uns. Die deutsche Automobilindustrie setzt sich für freien und fairen Handel ein. Grundsätzlich schränken protektionistische Maßnahmen, einschließlich zusätzlicher Zölle sowie ungerechtfertigter und marktverzerrender Subventionen, den freien Handel ein und bergen das Risiko von Handelskonflikten, die letztlich allen Seiten schaden. Wir brauchen auch die richtigen Rahmenbedingungen. Viele Unternehmen sagen: „Ich möchte diese neuen Fahrzeuge kaufen, aber der Netzbetreiber in meiner Stadt akzeptiert meinen Ladebedarf nicht“. Daher möchten wir über das gesamte Ökosystem und das, was notwendig ist, diskutieren. Wir müssen diese Themen mit Politikern, Unternehmen und Investoren besprechen.

Welche Rolle spielen Zulieferer in dieser Transformation? 

Ich denke, die gesamte Lieferkette ist wichtig. Die deutsche Automobilzuliefererindustrie beschäftigt rund 300.000 Menschen. Wir haben viele sogenannte deutsche Industriebetriebe des Mittelstands (KMU). Sie tätigen enorme Investitionen. Den Zuliefererbereich und Start-ups in den B2B-Dialog innerhalb der Transportbranche einzubeziehen, ist sehr wichtig. Wir wollen auch das gesamte Ökosystem beim Bau von Fahrzeugen aufbauen.

Niemand hat eine Kristallkugel, um zu sehen, was in der Zukunft passieren wird. Aber wie sehen Sie die Energiewende im Transportsektor? Sehen Sie einen stetigen Anstieg bei niedrigen Volumen, gefolgt von einem Nachfrageboom nach emissionsfreien Lkw auf europäischer Ebene? Sehen Sie unterschiedliche technologische Lösungen wie Brennstoffzellenfahrzeuge, Elektrofahrzeuge oder wasserstoffbetriebene Verbrennungsmotoren, die für verschiedene Transportaufgaben eingesetzt werden?

Wir müssen offen dafür sein, die beste Technologie für jede Anwendung zu nutzen, und wir müssen weltweit CO2-neutrale Transportprodukte liefern. Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse in verschiedenen Märkten. Hier in Europa sprechen wir mit den Politikern, um die besten CO2-neutralen Lösungen zu finden – denn wir müssen uns auf ein ganzes Ökosystem konzentrieren und nicht nur auf ein einzelnes Produkt.

Es liegt nicht in unserer Verantwortung, Stromnetze zu bauen. Wir können Ladepunkte errichten und wir als Branche sind sehr stark in diesen Prozess involviert. Einige Unternehmen investieren in nachhaltige, geeignete Schnellladenetzwerke, beispielsweise Milence, ein Joint Venture von Daimler Truck, der TRATON GROUP und der Volvo Group. Aber wir brauchen auch, dass die europäischen Mitgliedsländer in die Ladeinfrastruktur und die Stromnetze investieren. Ohne dieses gesamte Ökosystem können wir nicht auf dem Erfolg der fantastischen Produkte unserer Branche aufbauen.

Um bei diesem Thema zu bleiben: Wir haben in den letzten Wochen bei Presseterminen gesehen, dass die Branche bereit ist, erstklassige Elektro-Lkw zu liefern. Aber die öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektro-Lkw muss noch aufholen?

Ja, es besteht absolut ein Bedarf an Ladeinfrastruktur. Andernfalls können wir unsere Ziele nicht erreichen. Auch der rasche europaweite Ausbau der Wasserstofftankinfrastruktur ist notwendig. Bis 2030 werden in Europa etwa 2.000 wasserstoffgeeignete Tankstellen mit einer Kapazität von etwa 2 Tonnen H2 pro Tag benötigt. Etwa 15-20 Prozent dieser Wasserstofftankstellen werden in Deutschland benötigt (also 300 bis 400).

Aber, wie ich bereits erwähnt habe, es tut mir leid das zu sagen, ohne die Stromnetze werden wir nicht erfolgreich sein. Dies muss in jedem Mitgliedsstaat diskutiert werden. Ich denke, am Ende des Tages muss die neue EU-Kommission mit der Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) ehrgeiziger werden. Wir müssen viel mehr erreichen.