Der MAN Lion's City E geht mit einer üppigen Batterieausstattung ins City-Wettrennen. Mit seiner Reichweite soll der elektrische Antrieb eine Zielmarke setzen. Daneben darf der Münchner seine Talente als Stadtbus nachweisen, wir nehmen den MAN-Probanden ganz ordentlich in die Mangel.
Wahrscheinlich kam die Idee aus dem MAN-Marketing. Eine Rekordfahrt mit dem Lion's City E wurde gemeldet, 550,8 Kilometer hat der batterieelektrische Stadtbus in und um München zurückgelegt – mit einer Batterieladung. Über die Details der Rekordfahrt wollen wir hier nicht reden, aber irgendetwas muss ja dran sein an diesem Elektrobus. Deshalb muss der batterieelektrische Zweiachser bei uns nochmal ran, und zwar zu unseren Bedingungen. Wir werden zuerst auf diese technischen Fakten hingewiesen: Insgesamt trägt der MAN-Elektrobus Batterien mit 480 Kilowattstunden (kWh) Kapazität auf dem Dach. Nach bisheriger Rechnung wären davon 288 kWh oder 60 Prozent nutzbar, neuerdings aber 384 oder 80 Prozent. „Der Kunde entscheidet“, erklären die Testbegleiter, „die intensivere Nutzung der Batterien ist optional.“
Das Auge fährt mit
Unsere ersten Erlebnisse mit dem Lion's City E liegen schon ein Weilchen zurück. Was natürlich die Erwartungen an den Testkandidaten erhöht: Auf welchem Stand ist der MAN-Elektrobus heute? Bei allem Elektro-Hype – es ist doch das Gesamtkunstwerk, das zählt. Der Auftritt an der Haltestelle ist nicht unbedingt spektakulär, die Grundform entspricht weitgehend dem Dieselverbrenner. Nur dass der City E recht leise in die Bucht rollt und dort ebenso leise verharrt. Die elektrischen Komponenten auf dem Dach sind geschickt hinter Verkleidungen versteckt. So lässt sich der rundum fast plane E-Bus auch in der Waschanlage einfach reinigen. Beim näheren Hinsehen gefällt uns die tief gezogene Fensterlinie, die große Frontscheibe, die Chromspange an der C-Säule und auch die leicht ausgestellten Radläufe, die dem MAN schon im Stand eine gewisse Dynamik verleihen. Zuerst muss jeder Testbus auf die Waage, der City E wiegt beladen satte 18.160 Kilogramm, was einer Ballastierung von 3.560 Kilo entspricht. Oder gut 50 Fahrgästen, einer theoretischen Auslastung von gut 56 Prozent. Wir haben nochmal nachgerechnet: Maximal 19,5 Tonnen darf der MAN-Zweiachser auf die Straße bringen, der Testbus packt aus Gewichtsgründen statt der angegebenen 88 Fahrgäste nur 72. Zuvor musste der MAN nochmal an die Ladesäule, mit 99 Prozent Ladung gehen wir nicht an den Start. Zuerst warm fahren, damit der Testkandidat auch die Bremsenergie verwerten kann – bei einer vollen Batterie verpufft der Energieschub beim Generatorbetrieb im Bremswiderstand als Wärme.
Für Energiesparfüchse ein Retarderhebel
Antriebsseitig setzt MAN auf einen elektrischen Zentralmotor. Eine Konzernentwicklung aus Schweden, der große PSM-Synchronmotor mit Permanentmagnet und Spritzölkühlung benötigt für sein Leistungspotenzial keine hohen Drehzahlen. Die Scania-Techniker kombinieren beim neuen batterieelektrischen Stadtbus Citywide BEV den Motor mit einem Zweigang-Getriebe, bei MAN schiebt der weitgehend baugleiche E-Motor mit einstufigem Anpassgetriebe an. Mit maximal 326 PS und 2.100 Newtonmetern Drehmoment, doch wie sind die Leistungsdaten einzuordnen? Bestenfalls im Fahrbetrieb, denn wie soll man dann die 22.000 Nm eines eCitaro oder Urbino Electric an den Rädern bewerten? Alles eine Frage der Übersetzungen, weiß die automobile Fachkraft.
Der MAN beschleunigt jedenfalls mit einer Tonne Mehrgewicht fast aufs Komma genauso schnell. Insgesamt verfestigt sich der Eindruck eines leistungsstarken Fahrzeugs, das ruckfrei aus der Haltestellenbucht zieht und zügig Fahrt aufnimmt. Nicht zu stürmisch, wie wir es von frühen MAN-Exemplaren kannten, nein, der MAN-Elektrobus weiß sich wirklich zu benehmen. Auch beim Bremsen, das überwiegend elektrisch erfolgt. Die Verzögerung setzt weich ein, wenn der große PSM-Motor in den Generatorbetrieb wechselt. Jetzt ganz ohne Vibrationen im Antriebsstrang, nur bei stärkeren Verzögerungen greifen die Scheibenbremsen ein. Die Bremsleistung baut sich immer berechenbar auf, die Abstimmung ist den MAN-Technikern hervorragend gelungen. Der Motor verzögert und rekuperiert im leistungsfreien Schubbetrieb leicht, der City E rollt nicht ganz frei. Aber immer noch so, dass der Fahrer die kinetische Energie nutzen kann.
Mit Wärmepumpe heizen und kühlen
Zuerst mal mit dem neuen MAN-Cockpit kundig machen, dort muss sich das Fahrpersonal mit etlichen Schaltern mehr auseinandersetzen als an einem Arbeitsplatz von Conti. Doch wer einen neuen MAN kennt, kommt auch sofort mit dem City E zurecht. Die Feststellbremse arbeitet noch rein pneumatisch – wieso eigentlich nicht elektrisch? Der Drehzahlmesser ist einem Energieverbrauchsanzeiger gewichen. Er zeigt in etwa den Sofortverbrauch des Antriebs an, der fürs Beschleunigen gebraucht wird und wieviel beim Bremsen in die Batterien zurückgespeist wird. Um die Innenraumtemperatur brauchen sich Fahrerinnen und Fahrer nicht zu kümmern, die passt sich automatisch der Außentemperatur und der Belegung an. Nur das Binnenklima am Arbeitsplatz regelt das Fahrpersonal
selbst. Für Wärme und Kühlung sorgt eine moderne Wärmepumpe von Eberspächer, die allerdings noch das wenig klimafreundliche Kältemittel R134a verdichtet. Etwa 13 Prozent der eingesetzten Energie werden für die Nebenverbraucher benötigt, an dieser Stelle empfehlen wir einen Blick auf die Testergebnisse. Erzielt an einem kühlen Sommertag, bei extremen Außentemperaturen könnten es bis zu 50 Prozent werden. Wenn es tiefkalt wird, heizt der Elektro-MAN dann mit Heizöl, er führt unterflur im Heck eine Verbrenner-Zusatzheizung von Valeo plus Heizöltank mit. Wenn der MAN flüsterleise in die Haltestelle rollt und an der Randsteinkante keinen Mucks von sich gibt, trägt er aktiv zur Reduktion von Verkehrslärm bei. Ganz so leise geht es im Fahrzeug dann doch nicht zu. Hier machen sich die elektrischen Komponenten hörbar bemerkbar, der Klimakompressor und der Elektromotor samt Antriebsachse, vor allem dann, wenn der E-Bus schneller fährt. Dann wummern auch die Radlaufgeräusche nach innen, es zischelt an den Vordertüren. Die hauseigenen Innenschwenktüren schließen nach unten nur mäßig, wir kennen hier deutlich bessere Lösungen. Wir gestehen: Wie fast immer kritisieren wir auf hohem Niveau, denn die Geräuschkulisse fällt nicht negativ aus dem Rahmen – was ja auch die Messergebnisse bestätigen. Generell befördert der MAN-Elektrobus seine Fahrgäste ziemlich gediegen. In einem anspruchsvoll gestalteten Innenraum, mit bequemen Sitzmöbeln, hochwertigen Einbauten, angenehmer Klimatisierung und guter Verarbeitung, da gibt es nichts auszusetzen. Ein Haar in der Suppe wäre vielleicht noch die Gestaltung der Podeste im linken Rückraum (in Fahrtrichtung), die es für den Antrieb braucht. Der Motorturm fällt aber weg, und das ist gut so, der Betreiber gewinnt damit vier zusätzliche Sitze. Den Komforteindruck verstärkt die Solidität des Aufbaus, der weder knarzt noch klappert – der Diesel-Kollege hat hier eindeutig das Nachsehen. Die hohe Dachlast ist spürbar, dennoch verneigt sich der MAN nicht allzu sehr in Kurven.
Seine Entwickler haben ihm ein sehr straffes Fahrwerk-Setup verpasst, zwar mit Einzelradführung an der Vorderachse, mit semiaktiven PCV-Stoßdämpfern rundum. Aber auch mit massivem Stabilisator vorn, so überrollt der MAN trotz hoher Belastung Kanaldeckel und Querfugen ziemlich harsch, taucht auf tiefen Bodenwellen ein und wippt auch gern etwas nach. Wenn wir beim Lion´s City E noch Luft nach oben sehen, dann hier.
Geeignet für den Ganztagsbetrieb
Bei der Sicherheitsausstattung fährt der Münchner seinem Stuttgarter Konkurrenten eindeutig hinterher. Das ESP-System überwacht alle fahrdynamischen Aktivitäten, die Reifendrucküberwachung sorgt bei schleichenden Plattfüßen vor. Ein Abbiegeassistent ist verfügbar, die allseits bekannte Nachrüstlösung von Mobileye (gehört zu Intel). Auf die konzerneigene Lösung, ein radarbasiertes System, hat zuerst die Lkw-Fraktion Zugriff, auch der neue Scania-Stadtbus wird es noch vor den Münchner bekommen. Ein City-Notbremssystem, so sehr es auch in der Diskussion steht, ist bei MAN noch nicht ansatzweise in Sicht. Warum wir das meinen? Der Omnibus-Versuch von MAN wird derzeit nach Ankara verlegt, was ja auch nicht von heute auf morgen funktioniert. Einige Entwicklungen werden jetzt länger dauern, die dringliche Einführung neuer technischer Komponenten wird sicher nicht beschleunigt.
Bleibt noch die Frage nach der erzielbaren Reichweite, die unter nachweislich schweren Bedingungen erfahren wurde. Auf einem Linienzyklus, der in der Regel reproduzierbare Verkehrsverhältnisse bietet und Haltestellen in SORT1- bis SORT2-Abstand. Rein rechnerisch kommt der ballastierte MAN bei moderaten Wetterverhältnissen mit 1,24 kWh pro Kilometer zwar nicht 550, aber gut 300 Kilometer weit. Damit ist der Münchner ohne Wenn und Aber für einen Ganztages-Schichtdienst ohne Zwischenladung tauglich. Zur Gesamtenergiebilanz unserer Testfahrt addieren sich noch weitere 6 kWh, die Differenz ergibt sich aus den Ladeverlusten an der Ladesäule und durch die Energie, die beim Ladevorgang im Fahrzeug benötigt wird.
Unter dem Strich
Der noch vollständig in München entwickelte MAN Lion's City 12 E hinterlässt einen sehr gebrauchstüchtigen Eindruck. Ein solider Elektrobus mit feinem Innenraum, der sich gut verarbeitet präsentiert, das elektrische Antriebssystem ist leistungsstark und sparsam. Mit optional 384 kWh nutzbarer Batteriekapazität (80 %) kann der Elektro-MAN ohne Reichweiten-Angst flexibel eingesetzt werden. Einige Bausteine fehlen noch: Bislang ist der MAN nur per Stecker und mit maximal 150 kW ladbar, die Konzernschwester Scania geht mit ihrem neuen Citywide BEV mit Pantografen-Bestückung und Schnellladungen mit 300 kW an den Start. Es gibt also noch genug zu tun für eine lange und erfolgreiche Karriere des Lion's City E.