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Im Test: Mercedes Benz e-Citaro

Langsam wird es eng auf dem Dach: Unter den Verkleidungen sitzen acht Batteriemodule, die Klimaanlage und die Wechselrichter.

Endlich ist der Elektrobus von Mercedes-Benz zu haben. Und weil wir wissen wollen, was er kann oder auch nicht, muss er auf unsere Testrunde. Der Aufwand ist diesmal ungewöhnlich hoch, die erforderlichen Messverfahren sind nicht ohne. 

Kaum in Serie, stapeln sich auch schon die Kundenaufträge. Es scheint, als hätten viele Kunden nur auf den Mercedes-Newcomer gewartet. Auch wenn die ersten Reaktionen noch verhalten ausfielen. Vielfach wurde die eingeschränkte Reichweite kritisiert, so auch die MVG (Münchner Verkehrs-Gesellschaft), die die vorerst gebotenen 150 Kilometer sehr dürftig fand. Umso überraschender, dass unser Testkandidat schon mit dem größeren Batteriepaket gen München rollte. Den längsten Teil (bis zur örtlichen Niederlassung) legte er freilich auf dem Tieflader zurück. Aber immerhin: Mit nun zwölf Batteriemodulen und 292 Kilowattstunden Kapazität verspricht der Hersteller eine Reichweite von 170 Kilometern, und zwar unter allen Umständen. Immerhin löblich: Schon kurz nach dem Startschuss für die Serienfertigung flattert uns das Testangebot ins Haus. Und stellt uns vor die Herausforderung: Wo laden wir die Batterie des eCitaro? Und wie? Schließlich haben die Münchner Verkehrsbetriebe ein Herz für uns und lassen uns über Nacht an einer ihrer raren 63-Ampere-Steckdosen andocken. Am nächsten Morgen vor Testbeginn zeigt das Messgerät 99 Prozent Batterieladung an, doch wir nehmen es wie immer sehr genau. Deshalb drehen wir zuerst eine kleine Hofrunde und stecken den Mercedes dann wieder ans Ladegerät, bis uns das Messinstrument mit der Ziffer „100 Prozent“ freie Fahrt gibt. Wir fahren den eCitaro erstmal richtig warm. 

Mit einer Prise Future: Der eCitaro erbt die Optik des Konzeptfahrzeugs „Future Bus“. Im Innenraum ist er vor allem praktisch und konventionell.

Kein Leichtgewicht

Zuerst fahren wir auf die Waage, die 17.100 Kilogramm Testgewicht anzeigt. Bei 14.100 Kilo Leergewicht, wir sind also mit 42 Fahrgästen unterwegs, die von Wasserpuppen und Sandsäcken vertreten werden. Für den Antrieb sorgen zwei radnah montierte Elektromotoren, Mercedes-Benz setzt auf die Elektroachse AVE 130 von ZF, die ohne Differenzial und ohne Kardanwelle auskommt und weniger wiegt. Und obwohl die beiden Asynchronmotoren eher kompakt bauen, spielen sie mit 22.000 Newtonmetern am Rad leistungsmäßig in der Topliga. Wie das geht? Die Techniker übersetzen die an sich überschaubare Motorleistung von zweimal 125 Kilowatt (insgesamt 340 PS) im Portalgetriebe der Achse, die dem Zweiachser im Bedarfsfall dynamische Talente verleiht. Sprechen die Messwerte noch für eine durchschnittliche Beschleunigung, legt sich der eCitaro im Alltag doch erheblich ins Zeug. Wenn er praktisch ruckfrei aus der Haltestellenbucht zieht und sehr schnell an Fahrt gewinnt, kommt hinter dem Steuer gern ein Gefühl von Fahrspaß auf. Die Testbegleiter empfehlen die forsche Beschleunigung, um dann auch gleich die Rollphase zu nutzen. Weil den eCitaro kaum Schleppleistung belastet, rollt er fabelhaft und meist ohne Energieeinsatz bis zum nächsten Haltepunkt. Gebremst wird der eCitaro überwiegend elektrisch, stromlos arbeiten die Fahrmotoren als Generatoren und speisen die erzeugte Bremsenergie in die Batterien zurück. Aber immer erst auf Anforderung des Fahrers, per „Retarder“-Hebel oder übers Bremspedal. Für Freunde der „Ein-Pedal-Fahrweise“ gibt es auch einen Tipp: Einfach den Lenkstockhebel rechts (Retarderhebel) permanent in Stufe eins stellen, dann verzögert der Elektrobus bereits, wenn der Fahrer vom Fahrpedal geht.

Drei breite Türen: Elektrisch angetriebene Innenschwenktüren, die zügig öffnen und schließen – und nicht klappern.

Flüsterleise geht anders

Der eCitaro-Chauffeur braucht, wenn er von einem Citaro umsteigt, nur wenig Einarbeitungszeit. Das VDV-Cockpit von Continental ist beinahe baugleich und für die Fahrer eine gute Nachricht. Auch die Feststellbremse arbeitet noch pneumatisch, nur der Drehzahlmesser musste einem Energie-Anzeiger weichen, der den Stromverbrauch und die Rückspeisung der Bremsenergie anzeigt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Temperaturregelung am Klimagerät. Das Innenklima passt sich vollautomatisch der Außentemperatur und der Auslastung an. Der Fahrer hat keine Möglichkeit mehr, die Temperatur im Fahrgastraum manuell nachzuregeln. Wir haben auch kaum Anlass dafür, die Tagestemperaturen von 18 bis 21 Grad sind geradezu ideal für den Elektrobus-Betrieb. Im großstädtischen Verkehrsgeschehen löst der eCitaro immer wieder Erstaunen aus. Etwa an einer Haltestelle, eine Passantin zeigt sich sofort sehr interessiert: „Ist das ein Elektrobus? Echt? Ist ja nicht wahr!“ Und im dichten Verkehr ein Stopp, ein entgegenkommender Stadtbuskollege lässt es sich nicht nehmen und hält im laufenden Verkehr spontan mal an. Er will es wissen: „Fährt der elektrisch? Wie fährt er sich denn?“ Was für uns alltäglich erscheinen mag, aber in der Öffentlichkeit genießt selbst der unbeschriftete schlichte Elektrobus-Erstling von Mercedes viel Aufmerksamkeit.

Erst recht, wenn er flüsterleise in die Haltestelle rollt und an der Randsteinkante keinen Mucks von sich gibt. Zugegeben, im Fahrzeug machen sich die elektrischen Komponenten durchaus hörbar bemerkbar. Die hochdrehenden Asynchronmotoren an der Antriebsachse beispielsweise mit ihrem Singsang, der sich phonetisch mit zunehmender Geschwindigkeit steigert. Dazu die Wechselrichter auf dem Dach, die unter Volllast zwitschern, die Gebläse der Klimaanlage, die vernehmlich fauchen. Die Geräuschkulisse ist gut erträglich, was auch die Messergebnisse bestätigen. Aber flüsterleise geht anders.

Zugänglich auch seitlich: Über den Heck-Batterien thront die aufwändige Kühltechnik, die die sensiblen Hochvoltkomponenten im Betrieb temperiert.

Großer Stadtbus-Komfort

Und dennoch dominiert der Komforteindruck. Schon deshalb, weil der eCitaro seine Fahrgäste sehr gediegen befördert. In einem modernen Innenraum mit professionellem Design, mit stabilen Sitzmöbeln und nahezu perfekter Verarbeitung, das gibt es wenig auszusetzen. Auch wenn der Motorturm links im Heck unnötig Platz kostet und die Stufenlandschaft an Tür 3 keine tolle Lösung ist. Bemerkenswert sind die elektrisch betriebenen Innenschwenktüren mit LED-Lichtleisten, die ohne Verzug öffnen und schließen, und zwar ziemlich dicht.

Die Fahrgäste werden den eCitaro schätzen, weil er verbindlich federt und omnibusfein auch Kanaldeckel, grobe Querfugen und tiefe Fahrbahndellen wegsteckt. Kein Klappern, auch kein Knarzen mehr im Gebälk, dank seiner stabileren Dachkonstruktion steckt der Elektrobus seine Verbrenner-Kollegen hier in die Tasche. Und wer jetzt auf ein windelweiches Fahrwerk spekuliert, wird eines Besseren belehrt. Trotz der hohen Dachlast (etwa zwei Tonnen), die durchaus spürbar ist, verneigt sich der Elektro-Mercedes in Kurven nicht zu sehr. Das Testprotokoll attestiert dem Fahrwerk sogar eine fahraktive Note, die aus einer gekonnten Feinabstimmung der Komponenten resultiert. Mit der elektrohydraulischen Lenkung geht das Fahrzeug gut zur Hand. Sie arbeitet sehr präzise und lässt den Fahrer die Fahrbahn durchaus spüren. 

Sachlich-elegante Note im Innenraum: Hier ist der eCitaro ein Citaro, das ist ja keine schlechte Referenz.

Assistenzsysteme im Paket

Der Achttonnen-Vorderachse des Elektrobusses haben die Mercedes-Techniker das breitere Reifenformat 315/60 spendiert. „Für mehr Traglastreserven“, sagen sie, auch fahrdynamisch sind diese Reifen eine gute Lösung. Mehr Aufstandsfläche verbessert auch die Bremsleistung, jedenfalls aus fahrphysikalischer Sicht. 

Last not least bietet der eCitaro ein ganzes Paket elektronischer Assistenzsysteme auf, die es sonst in der Branche noch nicht gibt. Einen radarbasierten Notbremsassistenten, der Hersteller spricht vom PBA (Preventive Brake Assist), der auch vor einem übersehenen Fußgänger bremst. Ebenfalls mit Radarsensoren detektiert der Abbiegeassistent (SGA = Sideguard Assist) rechtsseitige Passanten und Verkehrsteilnehmer, er wird ja jetzt von der Politik so dringlich gefordert. Der SGA warnt mit Lichtzeichen an der A-Säule und wenn es ernst wird, mit einem Rüttelalarm rechts im Sitzpolster. Eine wichtige Unterstützung für Stadtbusfahrer, für unseren Geschmack alarmiert er noch etwas zu oft. Extrapunkte verdient sich der eCitaro auch durch seinen Fahrerschutz, die Citaro-Front hält anders als Wettbewerber auch einem Pendelschlagtest gemäß ECE R29 stand.

Auch das muss sein: USB-Ladesteckdosen für Smartphones und Tablets.

Unter dem Strich

Bleibt die Frage nach den Kosten, die ja nicht unerheblich sind. Schon bei der Anschaffung, der Hersteller hat sich etwas geziert. „Etwa das Doppelte eines vergleichbaren Dieselbusses“, hört man bei Daimler, für unsere Leser ist das schon eine Orientierung. In der Frage der Reichweite muss sich der eCitaro seinen konventionellen Kollegen eindeutig geschlagen geben, auch wenn unsere Testwerte weit mehr als die verbindlich zugesagten 170 Kilometer versprechen. Weitere Verbesserungen sind auch schon in Sichtweite: Die nächste Batteriegeneration soll deutlich mehr Reichweite oder schnelleres Nachladen sicherstellen. Bei den Energiekosten selbst muss der eCitaro keinen Vergleich scheuen. Maximal 1,08 kWh pro Kilometer haben wir gemessen, und zwar an der Steckdose, inklusive aller Lade- und Wärmeverluste. Allerdings bei bestem Elektrobus-Wetter und selbst da muss mit einem Klimatisierungsaufwand von rund 30 Prozent gerechnet werden.