Der schwedische Hersteller Volvo Buses erneuert sein Reiseprogramm und setzt dabei auf selbsttragende Konstruktionen. Der Auftritt der soliden 9700- und 9900-Newcomer ist beachtlich, unter dem Blech wird evolutionäre Technik geboten.
Nein, Pauken und Trompeten haben die Schweden nicht bemüht. Der erste Auftritt ging eher unspektakulär über die Bühne. Ein paar warme Worte von Volvo-Buses-Chef Agnevall und ein Filmchen, dann durfte die europäische Journalisten-Meute über die neuen 9000er herfallen. Ein kurzes „Touch and Feel“ – so nennt man das heute im Marketing-Jargon – dann war der große Moment auch schon wieder vorbei. Eigentlich schade, die Entwicklung des neuen Reisebus-Programms von Volvo soll nach eigenen Aussagen das größte und teuerste Projekt der letzten 20 Jahre gewesen sein.
Alter Name, neuer Bus
Aber natürlich haben wir uns die neuen Volvos recht gründlich angeschaut. Denn die Premiere wurde voller Vorfreude auf ein technologisches Feuerwerk begleitet. Um es vorweg zu sagen: Da blieb uns der Schnabel sauber. Die neuen 9900er und 9700er fallen recht irdisch aus. Die Optik, zwar markentypisch evolutionär, wirkt zurückhaltend elegant. Nur das Flaggschiff 9900 bringt wuchtige Dynamik ins Spiel. Das Zauberwort heißt Z-Shape, so benennt Chefdesigner Dan Frykholm seine Kreation der hohen Seitenwände. Wie eine steile Welle, die auf den Strand zuläuft, steigt die Fensterlinie nach hinten an. Korrespondierend dazu im Innenraum bietet Volvo im Flaggschiff die ansteigende Theaterbestuhlung an. Deutlich schlichter fährt der 9700 vor. Seine Seitenflächen sind schlicht, die Fensterlinie verläuft streng horizontal.
Da und dort werden großen Frontscheiben werden mit großen Radien bis hoch ins Dach gezogen. Keck recken die 9000er ihre Nase in den Wind, dahinter verbergen sich massive Aufprallelemente, die im Ernstfall den Fahrer schützen sollen. Ob sie schon die ECE R29-Norm (bislang nur für Lkw gefordert!) erfüllen, haben wir die Volvo-Entwickler gefragt. „Noch nicht getestet“, war die Antwort, darauf kommen wir noch später zurück.
Im Bug werden jetzt die Scheinwerfer aus dem Lkw-Programm installiert, ein logischer Schritt. Sie leuchten vorerst mit Xenon-Technik die Straßen aus, LED-Fahrlicht gibt es dann, wenn es der Lkw bekommt. Volvo betont die Aerodynamik der Karossen, weist auf die eingezogenen Kanten des markanten Hecks hin. Allerdings bleiben uns die Schweden den konkreten cW-Wert schuldig.
Konsequent integral
Den großen Schritt unter dem Blech vollzieht der Hersteller mit der Umstellung auf eine Integralbauweise. Zuletzt hatte man bei den 9900- und 9700-Vorgängern noch auf Fahrgestell-Elemente gesetzt, die bestens zwar in die weltweite Volvo-Produktionsstrategie passten, aber etliche Kilogramm Mehrgewicht einbrachten. Jetzt wurde abgespeckt, rund 300 Kilo sollen es jetzt weniger sein. Ausgesprochene Leichtgewichte, so schätzen wir, sind die neuen 9000er nicht. Die Zweiachser werden für 19,5 Tonnen zugelassen - allerdings gesteht Volvo diesen Fahrzeugen 12 Tonnen für die Antriebsachse zu – mit den hierzulande nur zulässigen 11,5 Tonnen für die Hinterachse bleiben insgesamt 19 Tonnen. Die neuen Dreiachser mit 26 Tonnen Gesamtgewicht haben grundsätzlich keine Gewichtsprobleme.
Auch das Programm wurde gestrafft, der einfache 9500 mit Starrachse vorn wurde ersatzlos gestrichen. Die 9000er bedienen den europäischen Reisebus-Markt mit zwei Höhen und drei Längen. Der Volvo 9700 als Hochdecker mit maßvollen 3,65 Meter Höhe wird mit 12,4 und 13,1 Meter Länge als Zweiachser angeboten, nur der 14-Meter-Bolide rollt auf drei Achsen. Hier hat uns Hakan Agnevall verraten, dass man wohl noch eine 15-Meter-Variante nachreichen wird.
Um ganze 20 Zentimeter überragt das Premium-Modell 9900 den Normalo-Kollegen. Die Differenz steckt im Kofferraum-Volumen, es sind immerhin gut 28 Prozent mehr. Aber den Reiz des schwedischen Flaggschiffs, das modular in den gleichen Längenmaßen vertrieben wird, macht der sehr ansprechende Innenraum aus. Die Theaterbestuhlung steigt jetzt ein klein wenig steiler an, die appetitlichen Stoff-Leder-Sitze bekommen verstellbare Kopfstützen. Was zum elitären Eindruck vielleicht fehlt, wären Glasdach-Elemente für Tageslicht im Innenraum.
Ein Universalmotor
Rund vier Prozent weniger Kraftstoff sollen die neuen 9000er verbrennen. Zum einen geht es auf das Konto der verbesserten Aerodynamik, zum anderen trägt das verringerte Gewicht dazu bei. Bei den Motoren gibt es allseits bekannte Kost, der D11-Reihensechszylinder wird mit 380, 430 und 460 PS installiert. Beim Top-of-the-Range-Modell 9900 kommen freilich nur die beiden stärkeren Maschinen in Betracht, wobei die Motorisierungen gerade im schweren Dreiachser nicht üppig ausfallen. Aber den Motoren stehen sehr flink agierende I-Shift-Getriebe zur Seite, die beide Disziplinen beherrschen. Sie schalten schnell und komfortabel, bei hoher Leistungsanforderung wird schon mal das gesamte Drehzahlband genutzt. Unser erster Eindruck: Ausreichend Leistung, nicht ganz leise und vibrationsfrei.
Deutlich komfortabler ist das Fahrwerk, das betont sanft rüde Oberflächen nimmt. Die Achsen-Hardware stammt aus den Vorgängermodellen, das Setup scheint gelungen. Was man eben nach einigen wenigen Fahrkilometern sagen kann: Die neuen Volvos liegen gut auf der Straße, bei Tempo 100 reduziert sich der Federweg der 9700- und 9900-Typen um zwei Zentimeter. Sehr positiv bringt sich die elektrohydraulische VDS-Lenkung (Volvo Dynamic Steering) ein. Geringer Kraftaufwand und sehr hohe Präzision, die erstaunlichen Rückstellkräfte erledigen die leidige Kurbelei in engen Kreisverkehren fast von selbst. Und hier die gute Nachricht: In der Region DACH (Deutschland – Österreich – Schweiz) soll VDS zur Standardausstattung zählen. Aber das riesige antiquierte Lenkrad ohne Funktionstasten, man fühlt sich fast wie ein Kapitän, würde man gern gegen ein handliches Format mit Funktionen tauschen.
Serienstart im November
In den meisten Grunddisziplinen erfüllt der fühlbar fahraktive Volvo unsere Erwartungen. Gute Aussicht nach vorn und zu den Seiten, im nicht überladenen neuen Cockpit haben jetzt die Schalter der Volvo-Lkw Einzug gehalten. Man sitzt jetzt (wie im Lkw) besser integriert, hat alle Schalter und Funktion gut zur Hand. Nicht so toll wie im Lkw die stehenden Pedale, auch haben wir die innovative elektrische Feststellbremse (schon seit Jahren Standard in Volvo-Lkw) vermisst. Positiv ist die Bremsausstattung, mit starkem Voith-Retarder, mit kräftiger Motorbremse und gefühlvollen Scheibenbremsen.
Natürlich bekommt man für seinen neuen Volvo einen GPS-Tempomaten, der hier I-See heißt. Und den Notbremsassistenten, mit Radar plus Kamerasystem arbeitet. Ein Spurassistent, der sich abschalten lässt, ein Aufmerksamkeitsassistent – hier fehlt nur ein Helfer fürs Rechtsabbiegen, den es schon bald geben soll. Die Elektronik-Architektur der 9000er besitzt noch nicht den Stand der modernen FH-Lkw, sagt man hinter vorgehaltener Hand, hier wird nochmal nachgelegt. Soll wohl auch heißen, wir haben den zu erwartenden Serienstand noch nicht gesehen und erlebt. Die Verantwortlichen benennen den Start of Production (SOP) für Mitte November geplant, da läuft noch viel Wasser die Donau hinunter. Wir warten jedenfalls gespannt auf den ersten Test.