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Im Test: Setra S 519

Großer Kofferraum: Die Klappen öffnen pneumatisch, die Option wird in Spanien gern genommen.


Im Test: Setra S 519 HD Wer viele Fahrgastsitze braucht, sollte sich mit dem 15 Meter langen Setra-Dreiachser S 519 HD beschäftigen. In punkto Wirtschaftlichkeit, Komfort und mit seinen Fahreigenschaften kann er durchaus überzeugen.

Nein, heute ist kein Tag für Heldentaten und Rekordversuche. Nieselregen und sechs Grad immerhin plus, und der Wind von Nordwest ist auch nicht ohne. Ein trüber tiefgrauer Himmel, dann rollt auch noch unser Testkandidat ausgerechnet in Steingrau vor – da bekommt auch der hochmotivierte Fotograf eine Krise. Dabei hatten wir und die Setra-Mannschaft uns viel für heute vorgenommen. Der Setra S 519 HD ist ein Kostenoptimierer, er soll laut Hersteller ein sehr guter Futterverwerter sein. Und wenn man ihn maximal mit 71 Sitzplätzen bestückt, ist er ein „Truppentransporter“, der damit dem Doppeldecker schon gehörig auf die Pelle rückt. Aber was heißt schon schlechtes Wetter? „Ist doch nicht kalt“ würden Skandinavier sagen und die Ärmel hochkrempeln. Wir legen bewaffnet mit Messinstrumenten und den üblichen Checklisten los. Ob sich der Aufwand für das Ergebnis am Abend lohnt?

CC-Baukastenprodukt

Während sich die einen aus stückzahlarmen Nischen zurückziehen und am liebsten nur noch die Haupttypen bauen, verstärken andere ihr Portfolio und nutzen jede Marktchance. Beim Premium-Anbieter Setra findet der Kunde ein komplettes Reisebus-Sortiment – vom Mitteldecker MD bis zum Doppeldecker DT, vom kurzen Midihochdecker bis zum längsten Reisebus aus deutscher Fertigung. Setra baut, was der Kunde verlangt – und wenn er volle 15 Meter möchte. Den gab es übrigens schon in der Vorgänger-Generation der heutigen ComfortClass (CC), die Neu-Ulmer hatten den Maximalisten speziell für den spanischen Großkunden Continental gebaut. Für Langstreckenlinien ist der lange Setra-Hochdecker durchaus eine Überlegung wert. Unser Testfahrzeug besitzt 58 und keine 71 Fahrgastsitze, Toilette und ziemlich alles für den Langstreckendienst. 

Der längste Setra-Dreiachser: Der Setra S 519 HD bietet weit mehr Kapazität als seine ComfortClass-Kollegen. 


Der längste Hochdecker der ComfortClass ist natürlich ein Baukastenprodukt. Denn vergleicht man die Maße der beiden Überhänge mit den Normalo-Modellen, entstehen die unterschiedlichen Längenmaße ausschließlich durch die Verlängerung des Radstands. Die ausgeklügelte Plattformstrategie der Daimler-Marke macht es möglich: So lassen sich viele Modelle und Typen realisieren – bis hin zum Maximalisten mit 15 Meter Länge, den der Kunde bei manch anderem Hersteller eben nicht bekommt. Aber ganz so einfach ist der lange Setra nicht gestrickt. Weil sich mit dem verlängerten Radstand der Drehpunkt weit nach hinten verschiebt, bessern die Techniker das Kurvenverhalten mit einer Verlängerung des Achsabstands zwischen Antriebs- und Nachlaufachse etwas nach. Der minimale Wendekreis beträgt genau 23.656 Millimeter – 15 Zentimeter mehr als sein Vorgänger, der aber gut 20 Zentimeter weniger Radstand besaß. Aber mit diesem Kunstkniff legt der ellenlange Setra noch eine erstaunliche Wendigkeit an den Tag, wenngleich wir vor dem langem Überhang einen Mordsrespekt haben. Mit vollem Einschlag schwenkt das Heck weit über einen Meter zur Seite, wir haben es an einer Randsteinkante probiert. Also bitte immer etwas seitlichen Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern wahren, bevor es ans Abbiegen geht. 

Mehr Abstand zwischen Antriebs- und Nachlaufachse: So lässt sich der Wendekreis reduzieren und das Heck stabilisieren.

Kulinarik von gestern

Beim 519er wird natürlich der Nutzwert großgeschrieben. Die inneren Werte zuerst, steigen wir probehalber mal ein. Die beiden Einstiege sind gewohnt gut. Mit ebenmäßigen nicht zu steilen Stufen, vorn haben auch ältere und mobilitätseingeschränkte Fahrgäste wenig Mühe beim Besteigen. Ein großer freundlich-wohnlicher Innenraum mit geschickter Farbwahl, grüne Polsterung und „Mokka“-Töne an den Sitzwangen, dazu zartgraue Verkleidungen. Ein gekonnter Kompromiss, gedeckte Farben und doch nicht trist. Die Fahrgastsitze, obwohl optisch eher schlicht als opulent, verdienen das Kompliment „sehr bequem“. Weil die Voyage-Ambassador-Sitze ausreichend breit und nicht zu straff gegenhalten. Und die verstellbaren Kopfstützen überzeugen in Ruhestellung, bei dem hier gebotenen Sitzabstand fahren auch großgewachsene Passagiere gerne mit. Vorbildlich nachts die Gangbeleuchtung, die Toilette mit knappem Türausschnitt. Noch immer die althergebrachte Befüll- und Entleerungstechnik, aber immerhin mit elektrischem Händetrockner. Gleich gegenüber die Miniküche von TM mit großer Kaffeemaschine und Würstchenkocher – Kulinarik von gestern, wer mag den Wurstsieder heute noch?

Mit drei großen Monitoren werden Daten und Bilder übertragen, die sind auch heute, wo jeder am eigenen Handy oder Tablet zappt, nicht überflüssig. Als Fahrgast möchte man gerne wissen, wo man gerade fährt – ein Blick auf das Navi. Oder die Frontkamera überträgt, was man durch die Frontscheibe sieht. Die Fahrgäste im Heck sind dann nicht schlechter gestellt - es kann ja nicht jeder vorn beim Fahrer sitzen. Es besteht auch kein Grund, die hinteren Sitze zu meiden. Der gebotene Komfort überzeugt vorn wie im Heck, die Passagiere werden weder von lauten Wind-, Antriebs- noch Reifenlaufgeräuschen belästigt. 

ComfortClass-Cockpit: Grundsätzlich gut zu bedienen, vielleicht mit Ausnahme der Infotainment-Anlage. Der optionale Zigarettenanzünder dient auch als 12-Volt-Steckdose.

Einwandfreie Gewichtsbilanz

Noch bevor es auf die Piste geht: Erst mal volltanken und alle Füllmengen prüfen, dann auf die Waage. Der 519er geht vollausgelastet mit 21.680 Kilo ins Rennen, leer soll er fahrfertig (laut Hersteller) 16 Tonnen wiegen. Da bleibt noch reichlich Luft bis 24.750 Kilogramm, soviel darf der Setra wiegen, auch bei Vollbestuhlung geht die Gewichtsbilanz in Ordnung.

Und wie fährt sich der superlange Setra? Zuerst mit gehörigem Respekt, einen 15-Meter-Boliden bekommt man nicht jeden Testtag serviert. Die ersten Meter dienen der Orientierung: Wieviel Platz brauche ich mit mehr als sieben Meter Radstand in der Kurve? Und welcher Abstand ist beim Abbiegen ratsam? Aber schon bald stellt sich ein gutes Gefühl der Berechenbarkeit ein, vielleicht auch, weil sich am begehrtesten Setra-Sitz alles gut überblicken und handhaben lässt. Der Fahrer-Arbeitsplatz ist jedenfalls schnell vertraut – obwohl auch diesmal einige Schalter nicht an der gewohnten Stelle sitzen. „Der Kunde, auch der Fahrer kann einzelne Schalter oder gar Tastergruppen tauschen“, entschuldigt und erklärt der Testbegleiter sein Fahrzeug. Die grundsätzliche Bedienung klappt ziemlich gut, die hängenden Pedale sind so feinfühlig wie in jeder hochwertigen Limousine. Nur die Lenkung verlangt im Nahverkehr nach einer kräftigen Hand, ob wir dann morgen einen Muskelkater haben? Von Hand schalten, damit hat der Setra nichts am Hut. Geschaltet wird sowieso automatisch, und das ist gut so. Denn mit einem so großen Fahrzeug hat der Fahrer gerade im dichten Verkehr gut zu tun.

Riesiger Innenraum mit guter Raumökonomie: Freundliche, pflegeleichte Farben und Bezüge, bequeme Fahrgastsitze. Und ziemlich durchdacht, sogar mit einem Lichtschalter für die Putzkraft. 

Dann auf der Landstraße, nach der Pflicht die Kür, folgt der lange Setra seiner gewohnt präzisen Lenkung – jetzt geht es flüssig und durchaus mit Freude am Fahren voran. Nur an engen Stellen und wenn in Kurven Schwerverkehr entgegen kommt, ist Umsicht gefragt. Hier verlangt der lange Radstand nach Aufmerksamkeit. Rechts abbiegen, Kreisverkehre, aber auch das Einhalten enger Fahrspuren sind keine einfache Fingerübung mehr. Man lernt sehr schnell: In der Ruhe liegt die Kraft, wer mit einem 15-Meter-Geschoß unterwegs ist, sollte es im dichten Verkehr nicht eilig haben. Auf der Autobahn dann eitel Freude, hier spielt der 519er seine Stärken aus. Er läuft stoisch geradeaus. Und keine Nickschwingungen, kein Wanken, nur über Querfugen und Kanaldeckel poltert der längste Setra-Dreiachser an der Vorderachse etwas uncharmant. Eine Frage des Fahrwerks-Setups – da gäbe es sicher bessere Lösungen.

Sanfter Riese

Beim Beschleunigen kann der schwere Brocken natürlich keine Wunder vollbringen. Er absolviert die Sprints mit Werten, wie wir sie auch von Doppeldeckern kennen. Im Heck werkt ein OM 471 mit 476 PS, mehr Leistung gesteht der Hersteller seinem längsten Lulatsch nicht zu. Auf Wunsch eher weniger, der stärkste OM 470 mit 10,7 Liter Hubraum generiert maximal 456 PS und 2.200 Newtonmeter. Aber für gutes Fortkommen ist gesorgt. Mit 2.300 Newtonmetern aus 12,8 Liter Hubraum beschleunigt der mit 21,7 Tonnen vollausgelastete Dreiachser eher sanft, beim Anfahren holt er zuerst etwas Luft. Seine Kernkompetenz ist eher das Durchzugsvermögen, auf der Autobahn hält er wacker hohe Reisegeschwindigkeiten. Sobald es die Verkehrsdichte erlaubt, übernimmt der PPC-Tempomat das Geschwindigkeitsmanagement. Das GPS-System identifiziert alle Steigungen und Gefälle, nimmt Anlauf und lässt den schweren Omnibus bergab rollen. Nur die vom Hersteller propagierten Schwungspitzen von 104 km/h gehen wir nicht mit, auch wenn man hier ein paar Tropfen Diesel gutmacht. Denn dann bewegt sich der Fahrer in der Grauzone: Wenn etwas passiert, wird ihm die Überschreitung des gesetzlichen Limits angelastet. 

Blick aufs Display: Die Grundeinstellung für den PPC-Tempomaten mit + 4 und -10 km/h lässt den Dreiachser bergauf ziemlich langsam werden und bergab viel zu schnell.

Unter dem Strich

Aber auch so zieht sich der lange 519er recht beachtlich aus der Affäre. Nach der finalen Kontrolltankung rollt er mit einem Gesamtverbrauch von gut 23 Litern, nur 0,4 Liter pro Fahrgast, in Ziel. Damit zählt er zu den sparsamsten Fahrzeugen seiner Klasse. Erst recht, wenn man die suboptimalen Bedingungen bedenkt. Bei den Messungen haben wir auf die Fernstrecken fokussiert, genau da gehört er hin, der lange Setra. Übers Jahr stellen sich sicher bessere Verbrauchswerte ein, ein Baustein dafür wären Spritspar-Reifen. Denn die laut abrollenden CityPlus-Reifen von Conti sind nicht sonderlich rollwiderstandsarm. Und dann zählt die Sicherheit, die uns der lange CC-Dreiachser (ComfortClass) auch bei misslichem Wetter unbedingt vermittelt. Er fährt sehr präzise und berechenbar, bremst hervorragend und gefühlvoll und überwacht mit den momentan modernsten Sicherheitssystemen die Reise. Aber einen kompetenten Chauffeur sollte man dem 519er schon gönnen, er ist nicht jedermanns Sache. 

Falsch platziert: Die Rückfahrkamera kann so hohe Hindernisse wie überstehende Dachkanten oder Äste nicht erfassen.